Leidenschaft und Bibel
Liebe, Lust und Leidenschaft – die Bibel ist ein Buch des Lebens und Nina Hagen singt davon…
Eine einsame Slidegitarre singt zum stampfenden Rhythmus des Blues. Nach einigen Takten setzt eine tiefe rauchige Frauenstimme ein: It’s Nobody’s fault but mine….I have a Bible in my home…If I don’t read my soul be lost …Nobody’s fault but mine…. Es ist Niemandes Schuld, nur meine eigene….Ich habe eine Bibel zu Hause…. Wenn ich sie nicht lese und meine Seele verliere…Es ist Niemandes Schuld, außer meine eigene…. In dieser Stimme schwingt der Blues eines intensiv gelebten Lebens mit. Chor und Sängerin treiben sich wechselseitig dem finalen Höhepunkt des Liedes entgegen, das schließlich mit einem extatisch herausgeschrieenen Oh Lord endet.
Die Sängerin ist Nina Hagen. Ich höre das vierte Lied ihrer vorletzten CD Personal Jesus. Der Song Nobody’s fault ist ein 100 Jahre alter Blues, der das erste Mal 1927 von dem blinden Bluesmusiker Willie Johnson aufgenommen wurde. Seither inspirierte er viele Musiker von Otis Redding bis Led Zeppelin. Nina Hagens Version berührt mein Herz und das nicht nur, weil sie eine hervorragende Sängerin ist. Was sie macht, tut sie mit Leidenschaft. Ein Leben lang ist sie als Pilgerin unterwegs zwischen den Erdteilen und Kulturen. Ihr Leben – nicht nur als Musikerin – war dabei oft rastlos. Immer ist sie auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen, nach Intensität, nach Lebenssinn, nach Gott, nach der wahren Liebe. Ihr Weg führte sie zu indischen Gurus oder indianischen Schamanen. Und was sie fand, spiegelte sich in ihren Liedern wieder – mal leise und gefühlvoll, mal laut und provozierend – immer aber mit großer Intensität und Leidenschaft. Voriges Jahr ließ sie sich in einer reformierten Gemeinde an der holländischen Grenze taufen. Seitdem verstärkt sie als Christin den gemeindlichen Gospelchor. Und sie tut das mit der ihr eigenen Leidenschaft. Nina Hagen scheint – zumindest im Moment – dort ihre Liebe, ihren Lebensgrund gefunden zu haben.
Schön wäre es sicher auch gewesen, wenn sie sich dafür eine Gemeinde im Leipziger Land ausgesucht hätte. Denn ein wenig von ihrer Schrägheit, Vitalität und Leidenschaft würde ich mir auch für so manchen Gottesdienst bei uns wünschen. Nach wie vor verbinden die meisten Leute mit Kirche zu allererst Beerdigung und Friedhof, schwer verständliche dogmatische Reden und verstaubte lebensferne Verklemmtheit. Wer aber die Bibel, die er zu Hause hat wirklich kennt und liest – wie es in Nina Hagens Lied heißt – der weiß, dass sie kein Totenbuch, sondern ein Buch des Lebens, der Leidenschaft und der Liebe ist. Es sind wahrhaft Geschichten, die das Leben schreibt, wie die von König David, der von Lust und Leidenschaft für die schöne Bathseba getrieben sogar über Leichen geht bis hin zum Hohelied Salomos, das in wunderbar sinnlichen und erotischen Bildworten das liebende Sehnen und Werben zweier junger Menschen umeinander beschreibt. Musiker, Bildhauer und Maler aller Jahrhunderte ließen sich davon zu Meisterwerken inspirieren. Mark Chagall malte das Hohelied wortwörtlich in seine Bilder hinein. Für mich wird durch diese leidenschaftlichen sinnlichen Texte spürbar, wie ich als Mensch von Gott her wirklich gemeint bin. Und zugleich entdecke ich dabei, dass Leidenschaft, Erotik und Sexualität Gottes Schöpfungsgeschenke an uns Menschen sind. Und nicht zuletzt zeugen sie von der Liebesbeziehung zwischen Gott und uns Menschen. Diese Liebe, mit der uns Gott so anschaut und annimmt, wie wir sind, befähigt uns dazu, uns auch wechselseitig mit liebenden Augen anzuschauen und untereinander und mit Gott in einer liebenden Verbindung zu sein.
Wer sich von der Sinnlichkeit und kraftvollen Vitalität der biblischen Texte überzeugen möchte, ist ganz herzlich zu Sinnlichkeit und Bibel am Sonntagabend 20.00 Uhr in die Mutzschener Kirche eingeladen. Die Leipziger Schauspielerin Karina Esche liest erotische Texte aus der Bibel. Im sinnlichen Wechselspiel zu den Texten improvisieren Jonas Nikolaus (Cello, Orgel), Nico Klisch (Sax, Targot) und Henning Olschowsky (Git, Geige, Percussion) dazu. Als dritte Ebene sind Bilder von Rembrandt, Chagall bis Dali zu sehen.
Henning Olschowsky, Mutzschen